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Welches Recht gilt in welchem Konflikt?

von Prof. Dr. Stefan Oeter / Anna Gebhardt

64. UN-Generalversammlung im UNO-Gebäude in New York City, September 2009
© picture alliance / Landov
Rufen wir uns die (berechtigte) Aufregung um die Bezeichnung des ISAF-Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan in Erinnerung: Da war zunächst einmal Verteidigungsminister a. D. Jung, der sich beharrlich weigerte, das Kind beim Namen zu nennen. Gefeiert wurde der neue Verteidigungsminister zu Guttenberg für die Bezeichnung „kriegsähnliche Zustände“ und jüngst ist durch Außenminister Westerwelles Äußerung im Bundestag auch von offizieller Seite klar: Es handelt sich um einen bewaffneten Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts. Dieser Feststellung kommt dabei keineswegs eine verbindliche Wirkung zu. Maßgebend ist allein die unabhängige Bewertung des Geschehens durch die Gerichte. Nichtsdestotrotz ist eine genaue Einordnung für die Rechts- und Handlungssicherheit, insbesondere auch der Soldatinnen und Soldaten unerlässlich.

Vor diesem Hintergrund drängt sich die Frage nach der rechtlichen Bedeutung dieser Kategorisierung auf: Welches sind die rechtlichen Grundlagen für ein Handeln der Streitkräfte im Auslandseinsatz und welchen Bindungen unterliegen sie? Welche Folge hat die Einordnung für die strafrechtliche Bewertung? Finden die Grundrechte Anwendung? Wie sieht es mit den Verpflichtungen der EMRK und des IPbpR aus? Welcher Umgang mit dem Feind ist nach humanitärem Völkerrecht verpflichtend?

Der Begriff des Krieges existiert im völkerrechtlichen Sprachgebrauch nicht mehr. Er wurde durch den Begriff des bewaffneten Konflikts ersetzt, bei dem unterschieden wird zwischen dem internationalen und dem nicht-internationalen bewaffneten Konflikt.

Dass es sich in Afghanistan um einen bewaffneten Konflikt handelt, kann schon seit längerem kaum bezweifelt werden. Auch wenn der Norden lange Zeit im Vergleich als relativ friedlich eingestuft wurde, bezieht sich die Einordnung auf das gesamte Staatsgebiet. Während der internationale bewaffnete Konflikt zwischen zwei oder mehreren Völkerrechts-Subjekten stattfindet, liegt ein nicht-internationaler Konflikt vor bei gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen einem Staat und bewaffneten Gruppen auf dem Territorium eines Staates.

Während in Zeiten des Friedens-Völkerrechts die Befugnisse der Streitkräfte auf lediglich polizeiliche Maßnahmen beschränkt sind (nur bei unmittelbaren Gefährdungssituationen darf die Waffe eingesetzt werden zur Notwehr oder Nothilfe, ein darüber hinausgehender Waffengebrauch ist unzulässig), lässt die Einordnung als bewaffneter Konflikt weitergehende Maßnahmen und auch einen größeren Einschätzungsspielraum der Kommandeure, gerade im Hinblick auf sog. zulässige Kollateralschäden, zu.

Um welche Art von Konflikt handelt es sich nun in Afghanistan? Die ISAF-Truppen sind zur Unterstützung der seit dem 19.6.2002 eingesetzten afghanischen Regierung im Land. Ihr Auftrag ist in erster Linie die Unterstützung der afghanischen Regierung bei der Herstellung und Wahrung der inneren Sicherheit. Auch wenn die Taliban ursprünglich als de facto Regierung partielle VölkerrechtsSubjektivität besessen haben und man den Konflikt vor ihrem Sturz als internationalen bewaffneten Konflikt einordnen wird, handelt es sich wenigstens seit Amtsantritt der afghanischen Regierung unter Karzai um einen nicht-internationalen bewaffneten Konflikt, da nunmehr die ISAF-Streitkräfte, wenn auch durch ein Kapitel-VII-Mandat durch den Sicherheitsrat der UN legitimiert, auf Einladung der Regierung Karzai im Land sind. Die Situation ähnelt also einer klassischen Intervention auf Einladung, bei der eine legitime Regierung Unterstützung anderer Staaten zur Bekämpfung Aufständischer anfordert. Das geltende Regelwerk des humanitären Völkerrechts umfasst im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt die gemeinsamen Art. 3 der Genfer Konventionen von 1949, das 2. Zusatzprotokoll von 1979 (ZP II) und die geltenden gewohnheitsrechtlichen Regeln.

© Bundeswehr / Siegfried Houben
Rechtsgrundlage für das Mandat der deutschen Streitkräfte im Rahmen der ISAF ist in völkerrechtlicher Hinsicht das Mandat des Sicherheitsrats (u. a. S/Res/1.386, zuletzt S/Res/1.890). Die verfassungsrechtliche Legitimation wird erteilt durch den Beschluss des deutschen Bundestags nach dem Parlamentsbeteiligungsgesetz. Diesen sehr generell gehaltenen Ermächtigungen („to take all necessary measures to fulfill this mandate“, „alle erforderlichen Maßnahmen einschließlich der Anwendung militärischer Gewalt“) werden Grenzen gesetzt durch das humanitäre Völkerrecht. Eine Konkretisierung erfolgt durch die Rules of Engagement und funktional anwendbar gemacht werden sie für die Soldatinnen und Soldaten durch die Taschenkarte, die im Juli 2009 auf die Umstände vor Ort angepasst wurde.

Normativer Ausgangspunkt des humanitären Völkerrechts ist die Unterscheidung Kombattant / militärisches Ziel gegenüber dem Zivilisten / ziviles Ziel. Während der Kombattant rechtmäßig Gewalt ausüben darf und legales militärisches Ziel ist, zudem von dem Privileg der Straffreiheit und dem Status als Kriegsgefangener profitiert, sind Zivilisten unter allen Umständen zu schützen.

Diese Dichotomie findet sich aber nur im internationalen bewaffneten Konflikt. Im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt sind Aufständische statusmäßig Teile der Zivilbevölkerung. Eine gezielte Tötung ist nur dann zulässig, wenn die Aufständischen, sog. irreguläre Kämpfer, sich direkt an den Feindseligkeiten beteiligen (Art. 4 ZP II, Art. 13 III ZP II). Sie legen dann gleichermaßen den Mantel des Schutzes der Zivilbevölkerung ab. Die von ihnen ausgeübte Gewalt kann außerdem strafrechtlich verfolgt werden. Hier wird der Unterschied zum Kombattantenstatus also sehr deutlich. Gleichzeitig ergeben sich hieraus gleich mehrere Fragestellungen. Einigkeit herrscht nur insoweit, als dass es sich konstruktiv um einen situationsbedingten und nicht personenbezogenen Status handelt. Fraglich ist zunächst, ob die Ausschlussklausel nur gilt bei Beteiligung an den feindseligen Akten, also in unmittelbar räumlichem und zeitlichem Zusammenhang – mit der Konsequenz, dass sie bei Rückkehr in die zivile Deckung wieder zu voll geschützten Angehörigen der Zivilbevölkerung werden. Das IKRK ist mit seiner „Interpretive guidance on the notion of direct participation in hostilities“ einen Mittelweg gegangen: Für einen engen Kernbereich der ‚professionellen’ Kämpfer, die in eine militärähnliche Struktur von ständig kampfbereiten Verbänden integriert sind, gilt ein kombattantenähnlicher Status. Die Mitglieder dieser professionellen Kampfverbände sind ad personam legitime militärische Ziele, solange sie als Mitglieder dieser Verbände agieren, und dürfen jederzeit gezielt bekämpft werden. Alle anderen Aufständischen unterliegen hingegen dem sehr engen Verständnis der direct participation in hostilities, die letztlich nur während der eigentlichen Teilnahme an Kampfhandlungen greift, sowie bei unmittelbarer Vorbereitung und in direktem zeitlichem Zusammenhang zu der eigentlichen Kampfhandlung. Das bedeutet, dass selbst wenn die Streitkräfte der gegnerischen Konfliktpartei mit Sicherheit zu wissen meinen, dass es sich bei konkreten Einzelpersonen um derartige Teilzeitkämpfer handele, sind sie nicht legitimiert, diese gezielt zu töten, sondern dürfen einzig versuchen, diese der Teilhabe am bewaffneten Widerstand verdächtigen Personen zu verhaften und als Gefahrenpotenzial zu internieren.

© Bundeswehr/ Kunduz
Weiterhin ist fraglich, welche Handlungen als von der Ausschlussklausel erfasst anzusehen sind: Geht es hier nur um den bewaffneten Kämpfer, oder werden auch andere Handlungen erfasst? Das IKRK stellt für diese Bestimmung drei Kriterien auf: Die Handlung muss eine gewisse Schwelle der Schadenszufügung überschreiten, zwischen ihr und dem Schaden muss direkte (bzw. kumulative) Kausalität bestehen und die Handlung muss gerade dazu dienen, die Schadenszufügung zugunsten einer Partei des Konfliktes vorzunehmen.

Was bedeutet diese Einordnung nun für die strafrechtliche Bewertung? Die Tötung eines irregulären Kämpfers, der sich im oben dargestellten Sinne an Feindseligkeiten beteiligt, ist dem Grunde nach rechtmäßig. Einschränkungen können sich freilich u. a. aus dem Verhältnismäßigkeits-Grundsatz und dem Gebot der militärischen Notwendigkeit, die allgemeine Grundsätze des humanitären Völkerrechts darstellen, ergeben. Im Friedens-Völkerrecht hingegen wäre eine gezielte Tötung rechtswidrig, da eine Ermächtigung zum Handeln nach polizeilichen Maßstäben nur zur Selbstverteidigung oder Nothilfe zulässig ist. Die strafrechtliche Bewertung dieses Sachverhalts richtete sich nach dem Strafgesetzbuch. Mit der Einordnung als bewaffnetem Konflikt ist dagegen die Anwendbarkeit des Völker-Strafgesetzbuches eröffnet (vgl. §§ 8ff. VStGB). In Bezug auf die Tötung von Zivilisten bedeutet die Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts außerdem, dass sie rechtlich hingenommen werden muss, wenn sie begleitend als Kollateralschaden durch einen Angriff auf militärische Ziele, der der Verhältnismäßigkeit und militärischen Notwendigkeit entspricht, eintritt.

Ein weiteres Problemfeld tut sich auf, wenn es um den Schutz der Zivilbevölkerung geht. Hier werden unter dem Stichwort der Extraterritorialität der Grundrechte und der Frage nach der Bindung deutscher Staatsorgane im Auslandseinsatz an die Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention und des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte unterschiedlichste Ansichten vertreten, von einer Klärung ist man allerdings noch weit entfernt.

Eines steht nun zumindest auch von Regierungsseite her fest, Deutschland befindet sich in einem bewaffneten Konflikt. Von einer Klärung der Rechtslage, gerade hinsichtlich der Menschenrechtsverpflichtungen, kann jedoch noch nicht die Rede sein.

Prof. Dr. iur. Stefan Oeter
ist Prodekan und Professor an der Fakultät für Rechtswissenschaft,

Anna Gebhardt
ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin und promoviert am Institut für Internationale Angelegenheiten, beide an der Universität Hamburg.