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Lebenskundlicher Unterricht kann aus Sicht der Katholischen Militärseelsorge nicht voraussetzungslos sein | Militärgeneralvikar Prälat
Walter Wakenhut, Apostolischer
Protonotar | Seit den Anfängen der Bundeswehr 1955 ist die Kirche durch die Militärseelsorge den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr nahe. Sie sieht es als ihren Auftrag, den Soldatinnen und Soldaten menschlich und geistlich beizustehen und mitzuhelfen, diesen ein ethisch reflektiertes Selbstverständnis als Waffenträger im demokratischen Rechtsstaat zu ermöglichen. Die staats- und kirchenrechtlichen Grundlagen, die verfassungsrechtliche Einordnung deutscher Streitkräfte und die Konzeption der Inneren Führung, welche ihren Ausgang im Verständnis des Soldaten als "Staatsbürger in Uniform" nimmt, erleichtern es der "Kirche unter Soldaten" ihrem seelsorglichen Auftrag nachzukommen.
Seit dem Ende der Ost-West-Konfrontation und in Folge der Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands haben sich die gesellschaftlichen sowie außen- und sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen gravierend geändert. Politik und Streitkräfte stehen vor Herausforderungen, die ein hohes Maß an Bereitschaft zur Veränderung erforderlich machen. Frühzeitig haben in diesem Zusammenhang die deutschen Bischöfe in Hirtenworten und Erklärungen zur Stellung und Aufgabe der Bundeswehr friedensethische Perspektiven formuliert und in Erinnerung gerufen, die auch weiterhin ein kirchliches Engagement für die Soldatinnen und Soldaten ermöglichen.
Hinzu kommt, dass kulturelle und religiöse Vielfalt heute den Alltag der bundesdeutschen Gesellschaft prägen. Beide Phänomene finden sich in den Streitkräften wieder. In die Gesellschaft integrierte Streitkräfte bleiben wichtig. Die Sinus-Studie zeigt jedoch, dass bestimmte Milieus in der Bundeswehr stark unterrepräsentiert sind.
Für das innere Gefüge und für die Menschenführung in deutschen Streitkräften ist jedoch nicht nur ein kultureller und religiöser Pluralismus bedeutsam. Folgenreicher ist der Wandel der eigenen soldatischen Identität, der sich mit dem veränderten Einsatz- und Aufgabenspektrum einstellen musste und spätestens seit dem Weißbuch zur Sicherheitspolitik und Zukunft der Bundeswehr (2006) den Prozess der Transformation der Bundeswehr als "Streitkräfte im Einsatz" bestimmt.
Konsequenz daraus ist insbesondere die neue Fassung der Zentralen Dienstvorschrift zur Inneren Führung (ZDv 10/1). Die ebenfalls vollzogene Neuregelung des Lebenskundlichen Unterrichtes (LKU) in ZDv 10/4 betrifft nun ein wichtiges Tätigkeitsfeld der Militärseelsorge. Auch unter den veränderten Bedingungen wird der vom Staat gewünschte und von der Militärseelsorge geleistete LKU einen Beitrag zur berufethischen Fundierung des soldatischen Dienstes leisten.
Die Militärseelsorge leistet diesen Beitrag jedoch nicht voraussetzungslos, abstrakt oder gar wertefrei. Berufsethische Grundlegung - gerade im Sinne einer Wertebildung - ist an Voraussetzungen gebunden, die der Staat selbst nicht schaffen kann. Menschenrechte und Menschenwürde weiß die Kirche letztendlich und im tieferen Sinne anders zu begründen als es säkulare Ethikentwürfe können. Der Lebenskundliche Unterricht kann sich zudem als Beitrag zur Gesamterziehung der Soldaten auch nicht auf eine einzige und ausschließlich anzuwendende Didaktik und Methodik stützen. Pluralität in der Art und Weise, wie unsere Militärgeistlichen den LKU gestalten, bleibt auch zukünftig unerlässlich, wenn dauerhaft moralische Urteils- und Handlungskompetenz der Soldatinnen und Soldaten erreicht werden soll.
Nach 50 Jahren Praxis wird der Lebenskundliche Unterricht neu geregelt. Für die Militärseelsorge bleibt er im Interesse der Streitkräfte selbst und der Soldatinnen und Soldaten weiterhin ein wichtiger Arbeitsbereich.
Walter Wakenhut, Militärgeneralvikar
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