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"Ich hatt' einen Kameraden"

Von Reinhold Robbe

Am Pfingstsonntag saß ich im Gottesdienst mit Taufe und Abendmahl. Der Pfarrer sprach geradezu euphorisch vom Pfingstfest. Da gehe "die Post ab", meinte er in seiner Begrüßung. Zu Pfingsten erlebe die Christenheit ein besonderes Gefühl der Solidarität. Die wenigen Gottesdienstbesucher schauten eher etwas skeptisch vor sich hin. Davon, dass "die Post abgehen soll", konnte eigentlich nicht die Rede sein. Auch ich war in Gedanken woanders. Musste zurückdenken an eine Trauerfeier, an der ich wenige Tage zuvor in einem großen Flugzeughangar in Köln teilgenommen hatte.
Dort waren die drei toten Soldaten aufgebahrt worden, die bei einem heimtückischen Selbstmordattentat im afghanischen Kunduz ihr Leben verloren hatten. Drei junge Männer, die als Verwaltungsbeamte in Uniform ihre Pflicht erfüllten. Sie waren mit anderen Kameraden zusammen in die Stadt gefahren, um auf dem Markt einzukaufen. Und dann wurden sie von einer Sekunde auf die andere aus dem Leben gerissen. Ein Attentäter hatte auf sie gewartet. Riss die deutschen Soldaten, fünf afghanische Zivilisten und sich selbst in den Tod.

Vor der Trauerfeier versammelten sich die Trauergäste im Gästekasino. Die Stimmung war gedrückt. Gespräche wollten nicht so richtig entstehen. Jeder der Anwesenden hatte mit sich und seinen Gefühlen zu tun: Fassungslosigkeit und Entsetzen über den Tod, gepaart mit vielen offenen Fragen. So die Frage nach dem "Warum". Warum mußten diese Männer so jung ihr Leben lassen? Warum war es den getöteten Soldaten nicht vergönnt, lebend zu ihren Lieben zurückzukehren? Und auch die Frage nach dem Sinn des Einsatzes deutscher Soldaten am Hindukusch blieb nicht ausgeklammert.

Unter den Gästen befand sich auch der Krankenhauspfarrer vom Zentralkrankenhaus der Bundeswehr in Koblenz. Zusammen mit ihm waren die beiden leicht verletzten Soldaten gekommen, um ihren toten Kameraden das letzte Geleit zu geben. Beiden waren die Schrecken des Anschlages in Kunduz ins Gesicht geschrieben. Der Pfarrer überbrachte mir gute Nachrichten von den zwei Schwerverletzten, die in Koblenz behandelt werden. Wenn nichts Unvorhergesehenes passiere, so meinte er, seien sie "über den Berg".
Ortswechsel. Flugzeughangar. Die Angehörigen hatten in der ersten Reihe vor den Särgen Platz genommen. Neben ihnen die Militärbischöfe, der Minister, der Generalinspekteur und zahlreiche weitere Ehrengäste. Unter ihnen die beiden verletzten Soldaten und einige Kameraden, die aus Kunduz mitgekommen waren. Die Trauerredner erinnerten an die verstorbenen Soldaten. Sie würdigten deren Einsatz. Sprachen davon, dass ihr Engagement nicht umsonst gewesen sei. Ganz zum Schluß intonierte das Musikkorps "Ich hatt' einen Kameraden". Die Angehörigen blickten fassungslos auf die mit Trauerflor versehenen, großformatigen Fotos ihrer Ehemänner, Söhne und Freunde. Eine Ehrenformation des Wachbataillons trug die Särge aus dem Flugzeughangar. Viele Trauergäste hatten Tränen in den Augen.

An diese berührenden Szenen musste ich denken, als ich am Pfingstsonntag während des Gottesdienstes die Taufe eines neuen Erdenbürgers miterlebte. Vor wenigen Tagen der Abschied von drei Soldaten, die mitten im Leben standen, selber kleine Kinder hatten oder kurz davor waren, eine Familie zu gründen. Und jetzt die Taufe eines Säuglings, für den alle hoffen, dass sein Lebensweg unter einem guten und friedlichen Stern stehen und von Gott gesegnet sein möge. Auch die drei getöteten deutschen Soldaten waren dazu bereit, die Freiheit zu verteidigen. Damit unser neuer kleiner Erdenbürger eine friedliche Zukunft haben kann.