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Wenn die Verfassung nicht reicht

Nachhaltige Familienpolitik braucht ein Gesetz

Bernhard Huber, Geschäftsführer Familienbund der Katholiken, Landesverband Bayern
Der Staat hat die Aufgabe, "die Kinderbetreuung in der jeweils von den Eltern gewählten Form in ihren tatsächlichen Voraussetzungen zu ermöglichen und zu fördern". Er ist nicht berechtigt, "die Eltern zu einer bestimmten Art und Weise der Erziehung ihrer Kinder zu drängen." Mit solchen Aussagen präzisiert das Bundesverfassungsgericht Artikel 6 des Grundgesetzes, die allerdings, wie der Präsident des Gerichts, Hans-Jürgen Papier, während einer Tagung der Hanns-Seidel-Stiftung zur christlichen Grundlegung einer modernen Familienpolitik ausgeführt hat, "häufig überlesen" werden. Dabei pflegt das Verfassungsgericht familienpolitische Fehlentwicklungen bestenfalls behutsam zu korrigieren.
Die Rolle des familienpolitischen Motors wuchs ihm dennoch zu. Abmahnungen aus Karlsruhe haben fast schon Tradition. Erwähnt seien das Trümmerfrauenurteil von 1992, das Pflegeurteil von 2001 oder die diversen Feststellungen zur Verfassungswidrigkeit des Familienlastenausgleichs. Genutzt hat das alles nicht viel: Die Familienpolitik ist nach wie vor kein Ruhmesblatt in der Geschichte unseres Landes, und dessen Grundgesetz spielt in der einschlägigen Debatte, ob in den Parlamenten oder in den Medien, noch immer eine erstaunliche Rolle, die Nebenrolle nämlich.

Ein konkretes Beispiel: Seit 2000, für Familien mit drei und mehr Kindern seit 1996, wurde das Kindergeld nicht mehr erhöht, und erhöht wurde es seinerzeit auch nur - wen wundert's? - aufgrund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Vielen ist nicht bewusst, dass das Kindergeld im Prinzip von den Eltern finanziert wird. Denn mit ihm gibt der Staat nur zurück, was er zuvor als Steuer kassiert hat: das kindliche Existenzminimum, das bereitzustellen Pflicht der Eltern ist und deshalb gar nicht der Steuer unterliegen dürfte.

Die Aufklärung der Öffentlichkeit über solche Zusammenhänge hat übrigens gleichfalls Verfassungsrang, wofür der Begriff "Transparenzgebot" steht. Statt dessen ziert den Boden des Grundgesetzes ein Fleckerlteppich mit einem die Sinne verwirrenden Muster.

Da kann man sich schon mal die Übersicht verlieren, auch Politiker. Schnell sind Kinder-, Erziehungs-, Familien- oder Elterngeld verwechselt, und der Unterschied zwischen Familienleistungs- und -lastenausgleich erschließt sich auch nicht auf den ersten Blick. Der Umsetzung verfassungsrechtlicher Normen, wie der oben zitierten, ist das nicht eben dienlich. Zudem ist dies ein ideales Einfallstor für manchen Unsinn wie die gezielte Diffamierung elterlicher Erziehung. So haben am 24. Mai dieses Jahres etliche Abgeordnete eine auf Verlangen der Fraktion Bündnis90/Die Grünen angesetzte Aktuelle Stunde des Bundestages genutzt, um das geplante Betreuungsgeld für Eltern als "Herdprämie" zu verhöhnen. Dabei leisten Abgeordnete immerhin einen Eid auf das Grundgesetz. Dennoch finden manche nichts dabei, Eltern, die sich tagtäglich um die Erfüllung der Verfassungsvorgabe mühen, im Parlament öffentlich zu beleidigen und die dürftige Kenntnis der viel zu komplizierten Zusammenhänge für die eigene Ideologie in polemischer Weise zu nutzen.

Abgesehen davon sind die Folgen der permanenten Missachtung des Transparenzgebotes konkret kaum fassbar. Dennoch dürfte sie eine wesentliche Erklärung für die verbreitete politische Ignoranz gegenüber der Norm des Grundgesetzes sein. Denn dem Wahlvolk wird so eine fundierte Meinungsbildung erschwert. Folglich kann es nicht mit entsprechender Kompetenz in die Diskussion um eine verbesserte Familienförderung eingreifen und mit sachlich begründeten Forderungen - etwa nach Anhebung des kindlichen Existenzminimums - an seine Abgeordneten herantreten.

Artikel 6 des Grundgesetzes gehört zum Katalog grundlegender Freiheitsrechte wie die Glaubens- und Gewissensfreiheit, die Presse- und Meinungsfreiheit oder die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit. Eine demokratischer Staat muss ein vitales Interesse daran haben, dass von diesen Freiheiten, also auch von der elterlichen Erziehungsfreiheit, tatsächlich Gebrauch gemacht wird. Übrigens ist das Erziehungsrecht der Eltern das einzige verpflichtende Grundrecht: Wer Kinder hat, darf und muss sie erziehen.

Natürlich kann das Grundgesetz nur grundlegende Normen bereitstellen, die das Bundesverfassungsgericht je nach Erfordernis auslegen muss. Doch ist das in Sachen Familie nicht genug. Nachhaltige Familienpolitik braucht ein Ehe- und Familienförderungs- und -schutzgesetz. Darin wären alle die Familien betreffenden Fragen zu regeln, angefangen vom Kindergeld bis hin zu einem Wahlrecht ab Geburt. Der 7. Familienbericht mit dem Postulat einer zeitgemäßen Familienpolitik, die Zeit-, Geld- und Infrastrukturpolitik umfasst, könnte die Struktur vorgeben.

Bernhard Huber
Geschäftsführer Familienbund der Katholiken, Landesverband Bayern
www.familienbund-bayern.de