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„Man wird grau an der Seele“

Militärgeistlicher über die Folgen des Afghanistan-Einsatzes für Soldaten

Militärpfarrer und Benediktinerpater Jonathan Göllner, Katholisches Militärpfarramt Hannover I
© KMBA
Derzeit sind rund 4.400 deutsche Soldaten in Afghanistan. Zweimal in kurzer Zeit nach seinem Amtsantritt ist Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg nach Afghanistan gereist. Viele Monate in Kunduz im Einsatz war der katholische Militärgeistliche Pater Jonathan Göllner OSB. Im Kölner „domradio“ sprach er über den umstrittenen Tanklaster-Angriff, die verschärfte Lage und die Folgen für die Bundeswehrsoldaten.

domradio: Wie haben Sie von dem Angriff erfahren?

Göllner: Wie vermutlich die meisten Soldaten im Feldlager auch, erst am nächsten Morgen. Zu Beginn wurde darüber gesprochen, dann kamen die ersten Nachrichtenmeldungen übers Internet und dann wurde es offiziell bekannt.

domradio: Wie war das danach – haben Soldaten mit Ihnen das Gespräch gesucht?

Göllner: Zunächst gab es einen Moment der Erstarrung. Man staunte und fragte sich, was ist da heute Nacht wirklich passiert? Es wurde erstmal sortiert und gesucht, dann erst – in den Tagen danach – suchten Soldaten das Gespräch mit mir.

domradio: Um was ging es in den Gesprächen?

Göllner: Einmal um die sehr unterschiedlichen Reaktionen aus Deutschland und Afghanistan. Die ersten Reaktionen aus Afghanistan waren gegenüber den Soldaten sehr positiv. In Deutschland kritisierten Öffentlichkeit und Medien dagegen massiv. Sie standen plötzlich in diesem Zwiespalt – zwischen Lob und Tadel.

domradio: Der deutsche Soldat sollte – ich überspitze – als Brunnenbauer in Uniform nach Afghanistan reisen. Jetzt begegnet der Bundeswehr aber ernsthafter Krieg. Wie geht es den Soldaten mit dieser Erkenntnis?

Göllner: Seit Mitte dieses Jahres hat sich die Situation in Kunduz grundlegend geändert. Für die Soldaten ist es eine kriegerische Auseinandersetzung. Und man merkt den Unterschied daran: Alle vier Monate wechseln die Kontingente – und die sind anders geworden. Für die Soldaten, die jetzt in Kunduz sind, ist es ganz klar ein Kampfeinsatz.

domradio: Suchen die Soldaten das Gespräch?

Göllner: Viele Kameraden sind zu mir gekommen, bevor sie raus gefahren sind zu dem Auftrag oder nachdem sie zurückgekommen sind. Eine andere Form ist eine wortlose: Wir haben einen Kerzenleuchter in Kunduz. Dort sehe ich immer an der Anzahl der brennenden Kerzen, wie die Stimmung ist. Brennen viele Kerzen, ist die Lage äußerst angespannt.

domradio: Wie können Sie helfen?

Göllner: Zunächst ist meine Aufgabe zuzuhören. Als Militärseelsorger unterliege ich der Schweigepflicht. Alles, was mir gesagt wird, fällt unter Vertraulichkeit. Das bietet die Möglichkeit, sich einfach mal Luft zu machen, einfach mal der Seele einen Raum zu geben. Es geht nicht um vorschnelle Antworten, sondern darum eine Adresse zu haben, wo man erst mal abladen kann.

domradio: Wie vertragen die Soldaten ihren Einsatz?

Göllner: Die Erfahrung aus dem Einsatz in Kunduz – dazu gehört auf jeden Fall auch der Angriff auf die Tanklaster – wird die Soldaten nicht so einfach loslassen, das wird sie weiter begleiten. Eine Erfahrung, die viele Soldaten im Einsatz gemacht haben und auch so beschreiben, ist: „Man wird grau an der Seele.“ So wie man graue Haare kriegt durch manche Erfahrungen, hinterlässt das auch Spuren auf der Seele.

Das Gespräch führte Tobias Fricke, domradio.