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"Die Demokratisierung der Streitkräfte hat Grenzen"

Uwe Hartmann: Innere Führung

Uwe Hartmann, Innere Führung. Erfolge und Defizite der Führungsphilosophie für die Bundeswehr, Carola Hartmann Miles-Verlag, Berlin 2007, ISBN 978-3-937885-08-7, 278 Seiten, 19,80 Euro
Der Offizier und ehemalige Mitarbeiter im Planungsstab des BMVg, Dr. Uwe Hartmann, hat ein sehr engagiertes Buch zur Inneren Führung vorgelegt, das sich zudem als Streitschrift versteht. Bemerkenswert ist bereits das Cover des Buches. Hier ist das Grabmal von General Scharnhorst abgebildet, auf dem ein anscheinend schlafender Löwe liegt. Ein Grabmal auf einem Buch zur Lage der Inneren Führung? Ein schlafender Löwe, der entgegen einer Volksweisheit zu wecken ist?
Gleich im Einleitungskapitel leuchtet Hartmann den Problemhorizont seiner Fragestellungen aus, indem er seine Kritikpunkte unmissverständlich zu erkennen gibt: "Angesichts der beachtlichen Erfolge der Inneren Führung ist es allerdings paradox, dass sie heute in einer Phase großer Umbrüche kaum mehr diskutiert wird" (16). Vermisst wird eine wahrnehmbare Diskussion, die in den Anfangsjahren der Bundeswehr sehr intensiv geführt worden sei und heute "nur vor sich hin plätschert" (19). Dies führt er auch auf einen Generationenwechsel innerhalb der Bundeswehr zurück. Diejenigen, welche die Diskussionen über die Innere Führung über Jahrzehnte bestimmten, sind mittlerweile im Ruhestand und hinterlassen sogar "eine gewisse ‚geistige Leere' innerhalb der Bundeswehr" (20).

Im zweiten Kapitel "Erfolge und ihre Grundlagen" lässt Hartmann vor dem Hintergrund der Konzeption der Inneren Führung Erfolge der Bundeswehr Revue passieren und veranschaulicht, worin tatsächlich das Neue der Bundeswehr - wie z. B. ihre Integration in die Gesellschaft - gegenüber ihren Vorgängerarmeen besteht.

Mit Blick auf die Auslandseinsätze bescheinigt er der Militärseelsorge beider Konfessionen ihre unverzichtbare Rolle für die Soldaten. Der Satz "Allein die Begleitung durch den Militärpfarrer bewirkt bei den Soldaten das Gefühl, dass ihr Tun angemessen und ethisch legitim ist" (50) darf zwar als Lob hingenommen werden, berührt aber zugleich einen durchaus wunden Punkt: Lässt sich die Anwesenheit von Militärseelsorgern stets als Legitimierung soldatischen Handelns deuten?
Das dritte Kapitel "Defizite und ihre Wirkungen" beginnt mit der Aussage, dass trotz der Erfolge der Inneren Führung "auch einiges gründlich schief gegangen" sei (69). Hierzu zählt Hartmann, dass immer noch keine unumstrittene Definition darüber existiere, was Innere Führung ist (17, 69, 70). Unter der Überschrift "Was ist Innere Führung?" bietet er selbst an der Praxis orientierte Antworten darauf an (70-85). Dem vorgebrachten Argument, dass "die Innere Führung ihre Kriegstauglichkeit noch unter Beweis stellen müsse" (69), entgegnet er, dass sie "eher eine Theorie zur Führung von Streitkräften in der Demokratie" (74) sei. Zudem stelle Innere Führung stellvertretend für den Soldaten kritische und grundsätzliche Fragen wie: "Ist der Einsatz von Gewalt legitimiert, um bestimmte sicherheitspolitische Ziele zu erreichen?" (77).

Dem Vorwurf, dass Innere Führung nicht einsatzorientiert sei (104-113), begegnet er schließlich mit dem Hinweis, dass das Zentrum Innere Führung seit Mitte der 90er Jahre Vorgesetzte in der Ausbildung für die Einsatzkontingente mit Themen wie "soldatische(s) Verhalten in ethischen Grenzsituationen konfrontiert" (111). Darüber hinaus sieht er neben dem erst kürzlich gegründeten "Freundeskreis Innere Führung" auch in der "Gemeinschaft Katholischer Soldaten" (118) einen wichtigen Ansprechpartner für sicherheits- und verteidigungspolitische Themen.

Im vierten Kapitel "Aktuelle Handlungsfelder" widmet Hartmann sich dem aktuellen Problem der Entkopplung von Gesellschaft und Streitkräften und weist dabei auf die enge Verflechtung von wirtschaftlichen Interessen Deutschlands und internationaler Sicherheit hin (125-130). In diesem Zusammenhang nennt Hartmann die Zahl von bisher rund 9.000 Bundeswehrsoldaten, die "mit körperlichen oder seelischen Verletzungen aus dem Einsatz zurückgekehrt" sind (126). Zudem wird auf das Dilemma hingewiesen, dass Deutschland sich zwar verpflichtet habe, sich an Kampfeinsätzen zu beteiligen, dass die Wahlbevölkerung aber solche Einsätze "deutlich weniger unterstützt". Daraus ergebe sich "für die Politik und die Bundeswehr ein ‚Legitimationsdefizit'" (132).

Ob jedoch Deutschland "einen neuen Totenkult" (sic!) wirklich braucht, um seiner in den Einsätzen ums Leben gekommenen Soldaten angemessen zu gedenken (140), lässt sich bezweifeln. Ein würdevolles Trauern und Gedenken aber haben jene zweifelsfrei verdient.

Dankbar nimmt der Leser die Ausführungen zur Gewissensfreiheit des Soldaten zur Kenntnis und die große Bedeutung, die hierbei den Militärgeistlichen attestiert wird. Schließlich hält Hartmann eine "Renaissance des Gewissens unter Soldaten" durchaus für möglich. Für ihn ist Gewissensfreiheit "integraler Bestandteil der ethischen Legitimation des soldatischen Dienstes und ein Grundpfeiler, auf dem das Gebäude der Bundeswehr ruht" (151, 204).

Hinsichtlich des Ziels der Aufstellung einer europäischen Armee wird auf das Wort der Deutschen Bischofskonferenz "Soldaten als Diener des Friedens" von 2005 hingewiesen, das sich klar gegen die "Tendenz zur Nivellierung der Inneren Führung" im Hinblick auf multinationale Verbände ausspricht. Diese Mahnung habe das Weißbuch 2006 aufgenommen (166). Dass der Streit über die Tradition zur Tradition in der Bundeswehr gehört (199), belegt Hartmann auch insofern, als er Fragen der Tradition breiten Raum widmet (182-200). Näherhin geht er kritisch auf neueste widersprüchliche Tendenzen ("Moltke oder Scharnhorst" 185) und auf jüngste Forderungen ein, im Hinblick auf die Auslandseinsätze den Traditionslinien "das Element des Kampfes" (196) hinzuzufügen.

Diskussionen wird der Abschnitt "Ethik" (200-206) hervorrufen. Obgleich auch für Hartmann der Beruf des Bundeswehrsoldaten kein Beruf "sui generis" ist, erkennt er die Notwendigkeit "einer gesonderten Ethik" für Bundeswehrsoldaten an (202-205): Sie "benötigen eine zusätzliche ‚ethische Bremse', die über das ‚normale Gewissen', wie es in unserer modernen Gesellschaft ausgebildet wird, hinausgeht" (202f.). Sieht man recht hin, fordert er aber selbst auch mit Blick auf Einsätze eher eine praktikable Tugendlehre für Soldaten, die letztlich so neu wiederum nicht ist. Die Kernfrage, die hier angestoßen, aber nicht wirklich beantwortet wird, lautet: Bedarf "der Soldat als ‚Staatsbürger in Uniform' einer gesonderten Ethik" (202)?

Nach dem Schlusskapitel, das noch einmal Herausforderungen der Inneren Führung teilweise thesenartig zusammenfasst, werden im Anhang Vorschläge zur Weiterentwicklung der Inneren Führung unterbreitet, die sich sowohl an Politik und Gesellschaft als auch an die Streitkräfte richten. Den Band runden ein thematisch gegliedertes Verzeichnis von Literatur in Auswahl sowie ein Personen- und Sachregister ab.

Das Buch von Uwe Hartmann ist äußerst kenntnisreich und vor allem mit sehr viel Insiderwissen geschrieben, es benennt neueste Entwicklungen und ist zudem als Einstieg bestens dafür geeignet, Anliegen und Fragen Innerer Führung zu buchstabieren. Das Buch fordert zur Diskussion heraus, es provoziert mitunter; für eine Streitschrift jedoch hätte es noch etwas pointierter formuliert sein dürfen.

Dr. Thomas R. Elßner,
Wissenschaftlicher Dozent für Katholische Theologie, Zentrum Innere Führung